Weihnachten

Weihnachten 2021

Weihnachten ist nicht kleinzukriegen! Dieses Fest ist wirklich unverwüstlich. Wir feiern es mit großer Hingabe und bunten Lichterketten, manche von uns auch aus familiärer Pflichterfüllung  oder als aussichtslosen Versuch, es in diesem Jahr mal kleiner zu machen als sonst. Wie auch immer, wir feiern es, ganz sicher, der 24. Dezember ist nicht zu ignorieren. Wir feiern es in der Familie, auf Reisen, allein zu Hause, im Krankenhaus, in der Kabine eines LKWs, in der Weihnachtsstube einer sozialen Einrichtung, in problematischen Paarbeziehungen, bei der Arbeit, in der Pandemie, im Krieg. Weihnachten wurde die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte immer gefeiert und ist nie ausgefallen. Selbst die größten Weihnachtsmuffel und Griesgrame, Atheisten und Nullüberweihnachtenwisser können sich dem Fest nicht entziehen. Wenn sie 10 Euro darauf wetten würden, dass Weihnachten auch im Jahr 2050 und darüber hinaus gefeiert wird, bekommen sie genau 10 Euro zurück, weil dies nun wirklich keine gewagte Prognose ist.

Daraus ergeben sich einige Schlussfolgerungen: Weihnachten scheint ein robustes und kraftvolles Fest zu sein. Bei uns und überall auf der Welt wird es gefeiert. Selbst in Saudi-Arabien werden Weihnachtslieder gesungen, dort allerdings hinter verschlossenen Türen, weil christliche Feste offiziell verboten sind. Weihnachten hat sich im Laufe der vielen Jahre in der DNA der Menschen verankert. Ohne Weihnachten würde den Menschen etwas fehlen. Weihnachten „bedient“ tiefe Gefühle und stillt ebensolche Sehnsüchte. Um das Fest einmal in eine Relation zu setzen: Auf Olympische Spiele könnten die Menschen notfalls verzichten, auf die Fußball Weltmeisterschaft auch, mit zusammengekniffenen Zähnen auf den Sommerurlaub ebenfalls, wie die letzten zwei Jahre bewiesen haben, aber auf Weihnachten, nein, niemals, das ist vollkommen undenkbar.

Warum ist dieses Fest so widerstandsfähig und stabil? Ein eher weltlicher Grund ist ganz sicher, dass Weihnachten seit Urzeiten gut fürs Geschäft ist. Aus der biblischen Geschichte lassen sich zwei monetäre (geldliche) Aspekte herauslesen. Eine Erhebung von staatlichen  Steuern ist der Anlass für die zurückgelegte Wegstrecke, die Joseph und Maria von Galiläa nach Bethlehem führt. Steuern und Abgaben waren also schon damals ein großes Thema und genauso unbeliebt wie heute. Dann ist in der Herberge kein Platz für Joseph und die schwangere Maria. Alles ist ausgebucht, zumindest das Gastgewerbe floriert und macht gute Umsätze. Auch heute ist für viele Einzelhändler und Versender Weihnachten das Geschäft des Jahres.

Ein weiterer Grund für die Stärke des Festes ist darin zu sehen, dass Weihnachten Sehnsüchte stillt, die Menschen in ihrer beruflichen und sonstigen Anspannung das ganze Restjahr gut verpackt unter Verschluss halten. Sehnsüchte nach Frieden, nach Familie und Gemeinschaft, nach Besinnlichkeit, nach einem Ausstieg aus dem Hamsterrad des Funktionierens und der ständigen Fragerei in die Richtung „bringt mir das etwas, rechnet sich das?“ Weihnachten gestattet uns, Gefühle zuzulassen, die wir von Januar bis November vielleicht als kitschig, kindlich oder unrentabel bezeichnen würden.

Ein tiefer und überaus menschlich-emotionaler Grund für die Unzerstörbarkeit des Festes lautet: Es geht um ein Kind, ein kleines Kind, um ein neugeborenes Kind. Ein Kind wird in rauer Nacht abseits einer Ortschaft geboren. Das hört sich klein und unbedeutend an. Ist es aber nicht. Das ist etwas ganz Großes, ein Paukenschlag, etwas Wunderbares. Dies ist ein Hintergrund unseres Festes, die scheinbare Spannung zwischen dem Kleinen und dem ganz Großen, dem unbedeutenden Provinznest Bethlehem und dem Weltereignis, der offensichtliche Gegensatz von einem ganz kleinen Menschen hin zu einer großen Idee des Friedens und der Verständigung. Babys haben überragende Fähigkeiten und eine besondere Macht. Sie können den allermeisten Menschen ein Lächeln entlocken und selbst die Unsensibelsten dazu veranlassen, leise zu sprechen und vorsichtig zu sein. Es ist so, als würde den Babys auf der Stirn stehen: Zukunft, Hoffnung, es geht weiter, das Leben setzt sich durch. Wenn wir Weihnachten die Geburt von Jesus feiern, dann schwingt all das mit. Dann feiern wir das Leben und die Zukunft, trotz aller Bedrohung, Niederlagen und Leiderfahrungen des vergangenen Jahres. Weihnachten ist wie ein wirksames Medikament zur Stärkung der Hoffnung.

Einen noch tieferen Grund für unser Fest möchte ich einmal so benennen. Es ist krisenfest und immun gegen jede Bedrohung. Das liegt auch darin begründet, dass die Weihnachtsgeschichte in einer bewegten und unruhigen Zeit entstanden ist. Kurz nach der Geburt mussten Maria, Joseph und Jesus nach Ägypten fliehen, weil sie politisch verfolgt wurden. Und schon immer, seitdem dieses Fest gefeiert wurde, gab es irgendwo Krieg und Katastrophen. Trotzdem war Weihnachten nicht totzukriegen. Es war nie ein Fest in einer heilen und idyllischen Welt. Eigentlich immer war die Welt unsicher und in Aufruhr. Deshalb ist es auch möglich, Weihnachten in Coronazeiten zu feiern. Für uns ist das ein Ausnahmezustand, der uns vieles abverlangt, Nerven kostet und an persönliche und gesellschaftliche Grenzen führt. Für die ursprüngliche Weihnachtsidee ist so eine Weltlage, so unglaublich es sich anhören mag, die ganz normale Realität. Auch wenn uns Weihnachten manchmal eine heile Welt vorgaukelt, Jesus wurde in alles andere als eine heile Welt hineingeboren.

Jetzt besteht die Möglichkeit für Nichtchristen, gedanklich auszusteigen, denn nun kommen zwei Gründe, die nur für Christen verstehbar sind. Jetzt folgt Weihnachten für Fortgeschrittene. Sie können aber gern weiter zuhören.

Ein noch viel tieferer Hintergrund unseres Festes liegt darin begründet, dass sich Himmel und Erde näher kommen und am Fest deutlich aufeinander zu bewegen.

Die weltliche Geburtsszene in Bethlehem wird erhellt durch ein himmlisches Herr von Engeln, so haben wir es gerade in der Weihnachtsgeschichte gehört. Der Himmel, die Sphäre Gottes, kommt auf die Erde und erfüllt die einfache und ärmliche Geburtsszenerie mit Glanz und Gloria, mit Gesang und großer Freude. Oben und unten, Gottes Welt und Menschen Welt, die himmlische Herrlichkeit und die triste menschliche Realität finden zusammen in einem kurzen Moment der Spannungsfreiheit, des Friedens und des Einsseins der gesamten Wirklichkeit. Das ist ein kosmisches Ereignis. Ein Urwunsch wird wahr und jedes Jahr zu Weihnachten wird dieser Wunsch wiederbelebt und meldet sich ganz leise und vorsichtig tief im Herzen vieler Menschen. Er lautet: Vielleicht passiert es ja noch einmal, vielleicht erlebe ich höchstselbst diesen Moment des Himmels, der auf die Erde kommt und werde damit hineingenommen in eine spannungsfreie und glückseligmachende Einheit zwischen Gott, mir, den Mitmenschen und der Schöpfung, bin befreit von all den Gegensätzen und Widersprüchen, die zu meinem Leben und dieser Welt gehören.

Nach guten Gründen für das Weihnachtsfest, nach einem tiefen, einem noch tieferen und einem noch viel tieferen Grund für das Weihnachtsfest folgt nun der allertiefste Grund.

Er lautet: Gott wird Mensch in Jesus. Gott und Mensch finden in ihm zusammen. Gott wird nicht nur in die Welt hineingeboren, sondern in einen menschlichen Leib. Näher und enger geht es nicht. Gott macht sich auf und wird einer von uns, einer von uns Menschen. Gott wählt einen von uns, Jesus, aus, und empfindet uns als würdig, auf diese Art, so nah, bei uns zu sein.

So ausgezeichnet und hervorgehoben gilt es, die Welt im Sinne Gottes zu gestalten und zu verändern.

Allein aus der Weihnachtsbotschaft ergeben sich dazu folgende Anstöße:

Es gilt im Kleinen das Große zu entdecken. Es könnte tatsächlich sein, dass im Kleinen, Unscheinbaren und möglicherweise Unwichtigem der Schlüssel zu einem erfüllten Leben zu finden ist.

Es gilt, unsere Sehnsüchte ernstzunehmen, unseren Wunsch nach einem anderen Leben, nicht mehr so total eingespannt und bestimmt zu sein vom Funktionieren und Geldmachen.

Es gilt, krisenfest zu werden, so wie Weihnachten. Sturmfest und erdverwachsen auf dem Boden der Realität zu stehen und mit Schwierigkeiten und Rückschlägen zu rechnen, ihnen aber nicht ständig Denkmäler zu errichten. Weitermachen – trotzdem!

Es gilt, bei allen Sachzwängen und notwendigen Absicherungen, immer noch an den Himmel zu glauben. Das ist doch nicht die ganze Realität, die wir täglich in den Nachrichten hören. Es gibt doch auch noch Gutes und Schönes. Es gibt doch himmlische Erfahrungen hier auf der Erde. Machen sie sich auf die Suche!

Und es gilt, weil Gott uns dazu auffordert, das göttliche Licht in uns zu entdecken, das Helle, das Wahre, das Unzerstörbare, das Gerechte – die weihnachtlichen Aspekte des Lebens.

                                                                                                                      Thomas Hoffmann

Predigt zum Heiligabend
Macht hoch die Tür