Jahrestag zum Ukrainekrieg – Gedanken von Pastor Oleksandr Lavrentiev
Ich hatte gehofft, dass dieser Krieg als ein “einmonatiger” oder höchstens “zweimonatiger” Krieg in die Geschichte eingehen würde. Aber heute ist es ein Jahr her, dass der Krieg in mein Leben kam.
Ich bin müde!!!
Ich bin nicht müde von den zehntausenden von Kilogramm Lebensmitteln und Kleidung, die ich getragen habe, nicht von den zehntausenden von Kilometern, die ich gefahren bin, um humanitäre Hilfe zu leisten. Ich bin nicht müde, den Flüchtlingen, den Armen, den Militär und ihren Familien zu helfen.
Aber ich bin müde, das Leid und den Schmerz derer zu sehen, die um ihre Angehörigen trauern, die von russischen Unmenschen getötet wurden.
Ich bin müde von den täglichen Statistiken über unschuldige getötete Kinder, die immer Kinder bleiben werden. Ich bin müde von den Zahlen, die jeden Tag steigen.
Ich bin müde, die Angst und den Schmerz in den Augen von Frauen, Müttern und Kindern zu sehen, deren Ehemänner, Söhne und Väter, ihr Zuhause verteidigen.
Ich bin müde, eine Frau zu sehen, die nicht aufhört zu beten und zu hoffen, dass ihr Sohn am Leben ist, auch wenn er in Gefangenschaft ist, hauptsache er ist am Leben . Ich will sie nicht mehr anlügen!
Ich bin müde, Junge und ältere Männer zu sehen, die Angst vor dem Morgen haben, davor, dass sie zum Kämpfen gezwungen werden und vielleicht nie zu ihren Familien zurückkehren.
Ich bin müde, enttäuschte Menschen zu sehen, die all ihr hart erarbeitetes Eigentum verloren haben.
Ich bin nicht nur müde, sondern ich habe Angst! Angst um mich selbst? Nein, natürlich nicht!
Ich habe Angst vor dem, was ich zu hören bekommen werde: “Hallo, ich werde in den Krieg gezogen, ich gehe in den Osten!”
Ich habe Angst, eine Nachricht zu erhalten, dass einer meiner Freunde oder Bekannten getötet oder vermisst wird.
Ich habe Angst, wieder vor dem Grab eines Menschen zu stehen.
Ich habe Angst, dass die Welt uns ohne Hilfe zurücklässt.
Ich habe Angst, dass alle müde werden, für uns zu beten und uns auf verschiedene Weise zu helfen.
Ich habe Angst, dass wir uns selbst überlassen werden und das es zu einem totalen Völkermord am ukrainischen Volk kommt.
Ich habe Angst, dass alle nur “tief besorgt” werden und die Täter für den Völkermord am ukrainischen Volk ungestraft bleiben.
Aber meine Angst und meine Müdigkeit werden von der Hoffnung und dem Glauben überwunden, dass alles gut werden wird! Wie abgedroschen es auch klingen mag, ich wiederhole, alles wird gut!!!!
Denn jeder Krieg, der in der Geschichte der Menschheit stattgefunden hat, hatte sein Ende. Und ich glaube aufrichtig, dass es bald geschehen wird!
Und das Ende dieses Krieges wird mit unserem Sieg gekrönt sein. Denn der Herr ist mit uns und sieht unser unschuldiges Leid.
Ich glaube, dass er uns allen die Kraft geben wird, wieder auf die Beine zu kommen, um alles wiederherzustellen, was zerstört und ruiniert worden ist!
Ich glaube, dass niemand an Hunger und Kälte sterben wird, weil es, wie heute, Menschen geben wird, die uns helfen und sich um uns kümmern.
Trotz meiner Müdigkeit und Angst ist mein Herz vor allem mit Dankbarkeit gegenüber dem Herrn und den Menschen erfüllt. Dem Herrn – für seine Fürsorge und seinen Schutz, für die Tatsache, dass ich am Leben bin.
Den Menschen – dafür, dass sie ein Werkzeug in Gottes Händen sind.
Ich bin dankbar, dass er mir trotz allem die Kraft gibt, Gutes zu tun und zu helfen, vor allem meinen Mitgläubigen, wie der Apostel Paulus den Galatern schreibt.
Ich schließe mich den Worten von Franz aus Assisi an:
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist; dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht; dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält; dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert; dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste; nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe; nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer sich hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet; wer verzeiht, dem wird verziehen; und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.
Pastor Oleksandr Lavrientiev